Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 64: Komplikationen -------------------------- Der Keller gleicht einer Rumpelkammer, ähnlich dem Dachboden. Überall stehen alle möglichen Dinge herum und bilden einen Irrgarten aus Gerümpel. Nichts was Max nicht schon tausende Male gesehen hat, aber heute ist etwas anders. Das Regal mit den leeren Blumentöpfen und den Säcken Blumenerde ist beiseite geschoben. Dahinter enthüllt eine Metalltür klischeehaft einen geheimen Raum.   Staunend folgt Max seiner Mutter.   Auf der anderen Seite herrscht das komplette Gegenteil. Im Keller war alles mit Zeugs vollgestopft, es gab keine Ordnung, über allem lag eine Staubschicht und Spinnweben waren in den Ecken zu finden, aber hier ist es steril. Boden, Decke und Wände sind alle mit weißen Fliesen verkleidet. Es gibt nur ein einziges kleines Fenster nahe der Zimmerdecke, das mit einer milchigen Folie beklebt ist, sodass man weder hinein noch hinaus sehen kann. Abgesehen davon ist es sowieso zu hoch für normalgroße Menschen. Regale aus Edelstahl reihen sich an der Wand gegenüber der Tür auf, vollgepackt mit medizinischen Utensilien und Instrumenten. Links ist ein Waschbecken zu finden und in der Ecke ein einzelnes Bett.   „Wow. Seit wann haben wir denn einen Operationssaal?“ Staunend lässt Max seine Augen durch den Raum schweifen bis sie bei Eren hängen bleiben und sich sein Staunen sofort in Sorge verwandelt.   In der Mitte des Zimmers steht ein Operationstisch mit einer großen Lampe darüber. Auf diesem liegt der verwundete Junge, angeschlossen an einen Monitor, der die Vitalwerte überwacht. Max kann mit den Zahlen und Linien und dem Gepiepe nichts anfangen. Das macht ihn nur nervöser. Jack hat inzwischen die Reste des T-Shirts und auch die Hose aufgeschnitten und im Mülleimer beim Waschbecken entsorgt. Eren liegt jetzt nur noch in Boxershort dort, sodass auch die Schusswunden an den Beinen sichtbar sind.   Dem Blonden wird gerade irgendwie schlecht.   Dr. Ryu zwischenlagert die Tücher auf einem rollbaren Tisch, den sie sich zu Eren heranzieht. Anschließend wäscht und desinfiziert sich die Hände, zieht Einmalhandschuhe an und kehrt so präpariert zurück zu ihrem Patienten. Jack ist gerade dabei einen Tubus vorzubereiten. Er ist selbst kein Arzt, hat aber aus Film, Fernsehen und den Berichten seiner Freundin ein paar Dinge aufgeschnappt und ihr auch schon bei manchen Unfällen der anderen Experimentkindern assistiert.   „K-Kann ich irgendwie helfen?“, erkundigt sich Max unschlüssig. Er will nicht einfach tatenlos daneben stehen, hat aber keine Ahnung was er tun könnte.   „Nein“, kommt die vernichtende Antwort seiner Mutter. Sie hat Eren an die Beatmungsmaschine angeschlossen und spritzt ihm gerade Schmerzmittel und Muskelrelaxan. Bis diese ihre Wirkung entfalten, begutachtet sie die Verletzungen, um herauszufinden, welche die Lebensbedrohlichsten sind.   „Max, wenn du helfen willst, geh nach oben und versuch zu schlafen. Mir wär´s lieber, wenn du nicht hier bleibst“, sagt Jack geradeheraus.   Entschieden schüttelt er seine blonden Haare. „Ich bleibe. Eren ist mein Freund.“   Tja, gegen diese sture Logik kommen die Erwachsenen nicht an. Max weiß, dass es nur ein Auftrag ist, weshalb sich der Junge mit ihm angefreundet hat, aber das ist ihm gerade vollkommen egal. Außerdem, weil Eren bei ihnen ist und nicht im Turano-Anwesen behandelt wird, muss das doch heißen, dass irgendwas schlimmes passiert ist, oder?   „Hat dieser Turano ihm das angetan?“, wagt er es schließlich kleinlaut zu fragen.   „Ja … Es ist kompliziert“, antwortet seine Mutter abwesend.   Der Junge schluckt schwer. Die Frau hat ihm ja schon am Freitag einen kleinen Einblick in die wahren Turanos gegeben, zugegeben, er hat es nicht ganz glauben oder sich vorstellen können, was das bedeutet, aber jetzt Eren, der ja angeblich sein Sohn sein soll, so zu sehen … Max weiß nicht, was er sich genau vorstellen soll, was geschehen ist. Welchen Grund könnte man haben, um jemandem das anzutun? Noch dazu, wenn es auch ein Turano ist? Ein Familienmitglied? Er versteht es nicht, kann aber jetzt nachvollziehen, weshalb seine Mutter vor diesem Turano solche Angst zu haben scheint.   Dr. Ryu entfernt die Kompresse von der Schusswunde, die Erens Herzen am nächsten ist. Sie drückt Jack eine Box mit Tupfer in die Hand, der eines der weißen Bällchen herausnimmt und auf die offene Blutung drückt. Sie selbst bewaffnet sich mit Skalpell und Klemme, mit denen sie die Kugel aus der Wunde entfernt und in eine Schale fallen lässt.   „Ist das eine Kugel?!“, fragt Max entsetzt, wird jedoch ignoriert.   Sobald die erste Schusswunde zugenäht ist, geht sie gleich zur nächsten über. Dabei behält die Ärztin immer die Vitalwerte am Monitor im Auge, die verdächtig schwächer werden, weshalb sie entscheidet die nächste Schusswunde kurz aufzuschieben.   „Ich brauch ein 0 negativ“, weist sie ihren Assistenten an. Da Eren Blutgruppe 0 hat, verträgt er nur diese. Wie gut, dass die Frau von jeder Blutgruppe ein paar Beutel auf Lager hat. Wie erwähnt, sie ist gerne gut vorbereitet.   Jack dreht sich bereits um, aber Max ist schneller. Den Kühlschrank neben dem Waschbecken zu finden, ist schließlich nicht schwer. Besonders, wenn er die Blutbeutel durch die Glastür sehen kann. Schnell schnappt er sich einen der Beutel mit der Aufschrift 0 negativ und reicht ihn seinem Vater, der inzwischen einen Infusionsständer herangerollt hat. Dr. Ryu reinigt und desinfiziert Erens linke Armbeuge, ehe sie die Kanüle legt und mit Klebestreifen fixiert.   Dabei fällt Max etwas auf. „Er hat ja auch so ein Tattoo wie ihr.“   „Ja, so wie alle von Turanos Experimenten“, antwortet Jack ohne nachzudenken oder zu bemerken, was er gesagt hat. Dafür ist er zu sehr damit beschäftigt bei der nächsten Schusswunde zu assistieren.   So bekommt niemand der beiden Erwachsenen Max entsetztes Gesicht bei dem Wort Experimente mit. Die schockierte Neugier drängt ihn dazu weiter nachzuhaken, aber sein Verstand weiß, dass das hier nicht der rechte Zeitpunkt ist. Also fragt er stattdessen erneut: „Kann ich wirklich nicht helfen?“   Da die Frau viel zu gestresst die Stichwunde des Dolches versucht zuzunähen, antwortet sein Vater: „Na schön. Du kannst dir die Tücher schnappen und anfangen das Blut wegzuwischen.“   Froh darüber hilfreich sein zu können, nickt Max, zieht ein kariertes Geschirrtuch vom Tisch, macht es beim Waschbecken nass und beginnt damit das Blut in Erens Gesicht zu entfernen, wo er seine Eltern momentan am wenigsten stört. Nach ein paar Minuten bemerkt er: „Ist es normal, dass er so kalt ist?“   „Kalt?“ Entsetzt hebt Dr. Ryu den Kopf und sieht zum Monitor. Die Körpertemperatur liegt nur noch bei 32,2°C. Eindeutig zu niedrig. „So ein Mist! Wie konnte ich das nur vergessen! Da hinten im untersten Fach liegen ein paar Heizmatten!“   Augenblicklich lässt Max das Tuch fallen, springt zum Regal und zieht zwei der grünen Matten hervor, mit denen er zum Tisch zurückeilt. Unter diesem befinden sich Steckdosen für die Matten. Währenddessen hat Jack vorsichtig Erens Oberkörper aufgerichtet, was einen Blick auf den blutigen Tisch und die noch unversorgten Wunden freigibt. Zum Glück sind es am Rücken „nur“ drei Schussverletzungen. Schnell wickelt die Frau die Matten in zwei der Geschirrtücher ein und platziert sie auf dem Tisch. Jack legt den Jungen darauf.   Sofort widmet sich Dr. Ryu wieder dem Zunähen der Wunde am rechten Oberschenkel. Dabei murmelt sie zerknirscht unverständliches Zeug. Sie kann sich selbst nicht erklären, weshalb sie heute so durcheinander ist. Sie hat schon oft Experimente operiert, ohne Fehler zu machen oder so etwas Selbstverständliches wie die Heizmatten zu vergessen. Sie hat auch schon viele unter dem Skalpell verloren, besonders in den Anfangszeiten eines neuen Experiments, wenn noch nicht sicher ist, ob der Körper mit den Kräftemutationen klarkommt. Also, wieso ist sie gerade jetzt, gerade bei Eren, so durch den Wind? Wenn sie das nicht in den Griff bekommt, befürchtet sie, wird sie den Engel-Dämon-Hybriden verlieren. Sie weiß, sie sollte als Ärztin in dieser Situation ruhig bleiben und sich auf die OP konzentrieren, aber das ist leichter gesagt als getan.   Als hätte das Schicksal ihre Befürchtungen gehört, ertönt ein markerschütternder Piepton, der alle Anwesenden in Salzsäulen verwandelt und zum Monitor blicken lässt. Die Linie, die den Herzschlag grafisch darstellen soll, ist durch unregelmäßige Ausschläge verschiedener Höhen deformiert. Erens Herz hat einen Kammerflimmern-Anfall.   Das heißt übersetzt, klinisch gesehen: Eren ist tot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)